Ein kleiner, emotionaler Rückblick auf das wunderbare Konzert "The Armed Man: A Mass for Peace" von Sir Karl Jenkins in Krumbach, Maria-Hilf-Kirche, am 24. März 2024, durch die Chöre Schwäbische Chorgemeinschaft Ichenhausen, Liedertafel Babenhausen und Mozartchor Augsburg unter der Leitung von Daniel Böhm.
Für "Insider": Alle, die dabei waren, werden die Worte sofort verstehen, und sich von den Bildern hoffentlich an ein außergewöhnliches kulturelles Ereignis erinnert fühlen.
Für "Outsider": Bei allem Bedauern, diesmal nicht dabei gewesen sein zu können, bleibt die Hoffnung, dass es beim nächsten Mal klappt, und das Vergnügen, durch die Bilder einen lebendigen Eindruck zu bekommen, wie es war, vor allem aber auch, wie durch einen Spalt im Zaun voyeuristisch einen Blick ins Innenleben eines solchen Projekts werfen zu dürfen.
Wo ist ...?
Wo ist ...? Vielleicht ist das eine der Fragen, die generell und überall nach Kriegen gestellt werden.
Wo ist ...
... mein Viertel?
... meine Straße?
... mein Haus?
... meine Schwester, mein Bruder?
... mein Vater, meine Mutter?
... mein bisheriges, mein früheres Leben?
Vu iz dos Gessele? fragt das jiddische Lied aus der Ukraine, das der jüdische Kantor Yoéd Sorek bewegend vorträgt. Damit ist eigentlich alles über das Übel des Krieges gesagt. Er nimmt, er zerstört, er vernichtet, er tötet. Er baut nichts auf, er löst nichts. Selbst ein gewonnener Krieg hat einen bitteren Beigeschmack, der Sieg ist vergiftet von Leid, Schmerz und Tod, auf der einen wie auf der anderen Seite. Und der verlorene Krieg? Eine einzige Katastrophe, das Ende aller Freude, aller Zuversicht und Hoffnung.
Es ist ein kleines, persönliches Lied, das uns Yoéd still und traurig vorträgt, als wäre er vollkommen allein, und uns nachdenklich schweigend zurücklässt.
Zugegeben, das war kein besonders aufmunternder Einstieg. Aber wenn es bis jetzt immer noch Leute gab, die dachten, Musik müsse immer etwas Fröhliches, Lustiges sein, zum Mitsingen und Mitschunkeln, dann kennen sie nur den einen, vielleicht sogar weniger interessanten, weniger bewegenden Teil der Musik. Musik kann aufrütteln, düster und erschreckend sein, sie kann einem den kalten Schauer über den Rücken jagen, einen frösteln lassen, obwohl es gar nicht kalt ist, einen zusammenzucken lassen, einem Angst einjagen. Sie kann uns herausreißen aus dem Alltag, der Lethargie, der Untätigkeit, dem Wegschauen, dem Schönreden, dem Tschingderassa.
Die Musik in The Armed Man: A Mass for Peace will Frieden schaffen, gegen den Krieg anklingen, und uns gegen den Krieg ansingen und -spielen lassen. Mit ganzer Seele und ganzem Herzen. Und gerade deswegen kann es über weite Strecken keine "schöne" Musik im trivialen, vordergründigen Sinne sein, eine Musik, bei der wir Bayern sagen würden "Mei, schee wars, sooo schee!"
Nein, erst muss der Krieg wüten, in den Menschen als tumbe, unreflektierte Kriegseuphorie, auf dem Schlachtfeld als blutrünstiger Todesengel. Karl Jenkins lässt uns innerlich wie Soldaten marschieren im Rhythmus der Kriegstrommeln, johlen vor Kriegslust im "Hymn before action", erschauern im Sanctus, erschrecken im "Charge!", verzweifeln im "Torches", trauern im "Angry flames".
Aber nach all dem Horror hat der begnadete Komponist Mitleid mit uns, streicht uns sanft über den Kopf mit dem Benedictus, tröstet uns mit dem Agnus Dei, nimmt uns schützend in den Arm mit dem Schlusschoral "God shall wipe away all tears".
Aber nicht nur das. Er möchte einen Ausweg zeigen aus der Dunkelheit des Krieges, zeigen, dass Frieden möglich ist, als wollte er sagen: Auch auf die finsterste Nacht folgt ein heller Morgen. So einfach, so hoffnungsvoll!
Momentum
Bei diesem letzten unserer drei Mass-for-Peace-Konzerte in Krumbach entstand etwas, nach dem Musikerinnen und Musiker immer suchen. Der besondere Moment, der einem selten, aber doch immer wieder einmal geschenkt wird, die besondere Stimmung, manche nennen es "in Resonanz sein", andere das Momentum, den Flow, das gewisse Etwas. Wenn eine Ansammlung verschiedenster Elemente zu einem größeren Ganzen verschmilzt, eins wird, schwingt und klingt, vibriert und harmoniert auf einer Welle. Wir durften das alle zusammen an diesem 24. März 2024 erleben. Alles passiert dann fast wie von alleine, alles fließt, und jede und jeder im Raum kann es spüren.
Gebetsruf
Liebe Leserin, lieber Leser, hast du schon einmal live und in aller Ruhe und Aufmerksamkeit dem Adhān, dem islamischen Gebetsruf an die Gläubigen, gelauscht, hautnah und in ganzer Länge? Wir schon, bei eben diesem Konzert in Krumbach. Ibrahim Alic, ein überaus liebenswerter türkischer Musiklehrer aus Istanbul und Student internationaler Musik, der mit seiner Familie in Jettingen-Scheppach lebt, hat uns diese Ehre zuteil werden lassen. Eindrücklich, unvergesslich. Man hätte in seinen Atempausen die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören.
Bei der so genannten "Augsburger Fassung" der Mass for Peace kommt auch noch das Kaddish dazu, das jiddische Totengebet, vorgetragen meist von einem jüdischen Kantor.
Über welche Brücke werden wir gehen?
Allah, Jahwe, Gott - Welche Brücke führt ins Paradies? Vielleicht auch die des Humanismus, die an das Gute und die Weisheit im Menschen glaubt, ohne Metaphysik? Vielleicht alle? Es ist eine Sache des Glaubens, wie wir wissen. All die teils jahrhundertealten Differenzen und Spannungen zwischen den Religionen spielen aber keine Rolle mehr, wenn die Menschen respektvoll und versöhnlich miteinander umgehen. Alle Beteiligten durften das an diesem 24. März 2024 erleben.
Bemerkenswert: Die drei führenden monotheistischen Weltreligionen, spinnefeind an anderen Orten und zu fast allen Zeiten, standen, vertreten durch drei erlesene, sympathische Repräsentanten, die evangelische Pfarrerin Christa Auernhammer, den jüdischen Kantor Yoéd Sorek und den muslimischen Sänger Ibrahim Alic, Arm in Arm, herzlich verbunden, friedlich vereint auf der Bühne. Ein Moment für die Ewigkeit!
Zwei Trommeln für ein Hall-leluja
Aber erst dachten wir schon, das wird nichts mit dem Konzert. Bei der Stell- und Generalprobe passten plötzlich die beiden Trommler nicht mehr zusammen. Sie begleiten die einmarschierenden Männer ja am Anfang des Konzerts zur Bühne, wo die Damen bereits warten. Aber es passte irgendwie nicht. Einer konnte den Rhythmus nicht halten. Oder einer war schneller als der andere. Oder beides. Wie marschieren, wenn jeder anders trommelt? Überraschung: Am Ende war wieder einmal die Kirche schuld! Ja, weil sie so groß ist! Schall überträgt sich nun einmal deutlich langsamer als Licht, und da die Männer von zwei entgegengesetzten Seiten einmarschieren sollten, waren sie zu Beginn weit voneinander entfernt. Man hörte nicht, was man sah, und man sah nicht, was man hörte. Erst als sich beide strikt am Dirigat von Daniel Böhm orientierten (und nicht mehr aneinander durch Zunicken -> Schall-Licht-Problem), funktionierte es.
Am Anfang stehen die Proben
Singen, vor allem auch gemeinsames Singen, ist wunderbar! Aber ein komplexes Stück einzustudieren ist auch anstrengende Arbeit, frustrierend manchmal, überfordernd, mühsam. Eines aber wissen erfahrene Sängerinnen und Sänger: Am Ende nehmen wir die Hürde und schaffen es! Hier ein paar Bilder über die Zeit "davor".
Die Chorfamilie versorgt sich mit "dem Nötigsten"
Viel Trinken, heißt es in der Sangestheorie, und nichts Bröseliges, und keine Schokolade! Im unserem Arbeitszeugnis würde stehen: Sie haben sich bemüht.
Sagen wir mal, teilweise schaffen wir das ganz gut. Wir Choristen sorgen eben gut für einander! In den Pausen eines schweißtreibenden Probentages zum Beispiel muss man sich stärken, um nicht aus dem Takt zu geraten oder gar die Töne nicht mehr zu treffen. Immer wieder schweben hier ein paar Gastro-Angels aus dem kulinarischen Paradies ein und beglücken die Musizierenden. Vielen Dank dafür!
Für die folgenden außergewöhnlichen, teils künstlerischen Aufnahmen danken wir vor allem Hubertus Roth, Co-Vorstand der Liedertafel Babenhausen, der oft noch tapfer fotografiert, während wir anderen schon schlemmen.
Experimentelle Chaos-Theorie
Bei der unverzichtbaren Stell- und Generalprobe merkt man erst, was alles schiefgehen kann und geklärt werden muss. Zig Absprachen müssen getroffen werden, Abläufe geübt und Übergänge geprobt werden. Allein bis alle da stehen, wo sie beim Konzert stehen sollen! Jede Bühne ist ja anders, der Altar im Weg, die Stufen zu flach, der Orchestergraben zu eng, die Beleuchtung zu schwach, Podeste zu klein, Aufgänge nicht stabil, Durchgänge zu schmal, und, und, und.
Wie durch ein Wunder (oder durch unsere grenzenlose Weisheit und Intelligenz) schaffen wir es aber immer wieder, dass am Ende alles passt. Auch nach außen hin, denn schließlich wollen wir auch für das Publikum ein harmonisches, ausgewogenes Gesamtbild abgeben. Hier ein paar Eindrücke vom Konzerttag (ja, wir stehen und marschieren und tüfteln und proben auch vorher schon ein paar Stunden!).
Der Mensch im Mittelpunkt
Es menschelt bei so einem Projekt, wo man hinschaut. Wahrscheinlich auch, weil jeder und jede weiß, dass allein gar nichts, und zusammen alles geht. Dass man aufeinander angewiesen ist. Wenn eine Stimme den Einsatz verpasst, wenn eine Geige kratzt, wenn eine Trompete trötet, wenn sich die Solistin verzählt, wenn der Dirigent unverzeihlicherweise nicht allen 100 Musikern gleichzeitig 100 % seiner Aufmerksamkeit schenkt, kann das schlimme Folgen haben, oder zumindest lästig und störend sein. Aber hier kommt der Teamgeist eines Musikprojekts ins Spiel. Wir lassen niemanden zurück, und wir geben nicht auf. Dann gilt: Jetzt erst recht! Das ist der Spirit eines Konzerts! Und das sieht man den Beteiligten auch an.
Dann ist es soweit - Konzert!
Da wir verständlicherweise etwas beschäftigt sind während des Konzerts, gibt es hier nur wenige eigene Aufnahmen. Der Zauber des Anfangs ist aber deutlich zu spüren.
Dafür gibt es vom Konzert fotografische Meisteraufnahmen, die das mehr als ausgleichen. Es sind fantastische Momentaufnahmen dabei.
Der süße Lärm der Begeisterung
Es heißt, das sei der "Lohn des Künstlers". Natürlich kann man vom Applaus nicht leben - diese Rechnung wird woanders gemacht -, aber zehren kann man davon, sehr lange. Welch ein Moment, wenn die Spannung abfällt, man alles gegeben hat, die letzte Schweißperle von der Stirn rinnt, und das Publikum es lautstark honoriert! Welch süßer Lärm, welch wohlige Umarmung, welch heißer Schauer! Und wenn dann noch gerufen und gejohlt wird und sich alle fast gleichzeitig erheben, klatschend und lachend und zunickend, dann scheint die Welt in diesem Augenblick stillzustehen.
Danke, Daniel!
Ist er streng und supergenau? Ist sein Anspruch schwindelerregend hoch? Sind wir manchmal genervt? Behandelt er uns gelegentlich wie eine Schulklasse, die zuviel schwätzt und nicht zuhören kann? Regen wir uns immer wieder furchtbar über ihn auf, wenn er einfach nicht zufrieden sein will, immer noch etwas mehr fordert? Aber sicher! Und wie! Trotzdem sagen wir: Danke, Daniel!
Danke für deine grandiosen Projektideen.
Danke für dein musikalisches Wissen.
Danke für deine hochwertige Stimmarbeit mit uns.
Danke für deinen unermüdlichen Einsatz.
Danke für deine langjährige Zuverlässigkeit.
Danke für deine erfrischende Bildung.
Danke für deine köstlichen Bilder und Vergleiche.
Danke für deinen Humor.
Danke für deinen hohen, professionellen Anspruch.
Danke für deine akribische Arbeit mit uns.
Danke für unglaubliche Energieleistungen.
Danke, dass du an uns glaubst.
Danke, dass wir mit dir musizieren dürfen!
Ein besonderes Geschenk für den Maestro
Ein besonderes Symbol dieser musikalischen Reise war die weiße Friedenstaube, alle Musizierenden trugen sie an Kleid, Blouson oder Jackett. Man war sich einig, dass kein Symbol Daniel Böhm so unmittelbar und eindeutig an diese Konzerte erinnern würde, wie eben diese Taube. Aber wie überreichen? Als Origami-Papiertaube? Als Bild? Als ausgestopfte Brieftaube? Nein, es musste etwas ganz Besonderes sein. Wieder war es Hubertus Roth, der einen genialen Einfall hatte. Sein Sohn, ein angehender Game- und App-Designer, konnte ihn darin unterstützen, per 3D-Drucker die beeindruckend schöne, filigrane Skulptur einer weißen Taube zu erschaffen. Was für eine grandiose Idee! Daniel versprach, dass sie einen Platz auf seinem Flügel bekommen würde, den sie sicher hervorragend schmückt.
Impressionen und Nachdenkliches
Wir sind jetzt am Ende dieser außergewöhnlichen Reise angekommen. Obwohl bereits die nächsten Auftritte anstehen, neue Noten verteilt und neue Stücke geprobt werden, wirkt unsere Mass-for-Peace-Konzert-Tournee noch lange nach. Vielleicht werden Erinnerung, Bedeutung und Dankbarkeit sich im Laufe der Jahre sogar noch steigern, das Projekt in der Rückschau noch großartiger erscheinen.
Zum Ausklang noch einige Impressionen, von vergnüglich über künstlerisch bis nachdenklich, und hoffentlich für dich, liebe Leserin, lieber Leser, die oder der du diesmal eventuell als Projektsänger oder noch gar nicht dabei warst, so motivierend, dass du beim nächsten Mal (wieder) Teil des Dreamteams sein möchtest.
Aktuelle Informationen gibt es immer auf www.liedertafel-babenhausen.de. Bei Fragen und Anregungen bitte einfach mailen oder sonstwie Kontakt aufnehmen über https://www.liedertafel-babenhausen.de/kontakt. Wir freuen uns!
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